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Das ABS-Steuergerät der Lotus Elise 111R bzw. des Vauxhall VXR220
Healing the Ice Mode
07. November 2009
(mit Ergänzungen vom 27.05.2010 und 19.05.2010)

Hier beschreibe ich den Tausch des kaum sinnvoll brauchbaren Serien-ABS-Steuergeräts gegen das wesentlich bessere Steuergerät der Lotus Elise 111R. Und zwar wie ich das gemacht habe.

Dies soll NICHT als Anleitung dienen, dass jemand das nachmacht.
Arbeiten an der Bremse sind gefährlich, wenn man kein Fachmann ist. Also besser Finger weg und nicht nachmachen!

 A.1 Was ist der "Ice Mode"?

Der so genannte "Ice Mode" beschreibt ein sporadisches Fehlverhalten des originalen Speedster-ABS-Steuergeräts bei Vollbremsungen, zumeist auf leicht welligem Untergrund. Das Steuergerät erkennt im Fehlerfall bereits bei noch lange nicht blockierenden Rädern fehlerhaft ein Blockieren und sperrt dann über die Hydraulikventile die Bremsleistung derart, dass trotz vollen Pedaldrucks gefühlt nur ein Drittel der möglichen Bremsleistung tatsächlich an den Rädern umgesetzt wird. Man bemerkt das grobe Rattern des ABS bereits viel zu frühzeitig im Bremspedal, dazu eine viel zu geringe Verzögerung, dazu fühlt sich das Bremspedal härter an wie gewohnt. Es vergeht dann etwa eine Sekunde in diesem Zustand, es gehen wertvolle Meter verloren, und dann "bemerkt" das ABS offenbar seinen Fehler und öffnet die Ventile wieder, das Pedal fällt merklich durch und die volle Bremsleistung liegt nun an, das ABS regelt jetzt korrekt.

Dieses Verhalten kann im öffentlichen Straßenverkehr fatale Folgen haben, wenn man eine Notbremsung machen muss und einem viele Meter aufgrund mangelnder Bremsleistung verloren gehen. Im Extremfall prallt man mit nahezu voller Wucht auf das Hindernis, obwohl theoretisch ein Abbremsen noch möglich gewesen wäre.

Auf Rennstrecken kann man im Bewusstsein dieser Fehlermöglichkeit sein Auto nie voll ausreizen, ein Anbremsen der Kurven präzise auf der letzten Rille wäre lebensmüde, also beginnt man immer etwas früher mit der Bremsung, und das kostet Rundenzeit.

Alles in allem ist das NICHT TRAGBAR!

Weiterhin ist das ABS leider nur mit zwei Regelkanälen ausgestattet, regelt also achsweise. Es greift zu frühzeitig ein, lässt kein dynamisches Bremsen zu. Und es regelt mit viel zu geringer Frequenz offenbar nur zwischen Blockieren und Freilaufen hin und her. Das ist lange schon nicht mehr Stand der Technik. Heutzutage müssen ABS-Systeme radselektiv im Bereich leichten Schlupfes arbeiten, da die beste Bremsleistung nur dann vorhanden ist, wenn sich Räder etwa 8-25% langsamer drehen als der Asphalt unter ihnen. Zudem darf das Radumfangsverhältnis vorn zu hinten nur maximal 2.5% betragen, was bei vielen Zubehörrädern schlicht nicht gegeben ist.

A.2 Der "Ice Mode" tritt doch bei jedem ABS auf?

Jein. Hier muss man dann mal eben in's Detail gehen, jetzt wird's etwas technischer:

Grundlegend kann, ja MUSS jedes ABS bei Bodenwellen ein Verhalten zeigen, welches auf dem ersten Blick dem Ice Mode durchaus vergleichbar ist. Fährt man voll bremsend im ABS-Regelbereich über eine Bodenwelle, dann verliert das Rad beim Ausfedern hinter der Bodenwelle je nach Zugstufeneinstellung des Fahrwerks kurzzeitig einen Teil oder sogar seinen gesamten Grip, die Räder können der Bodenunebenheit dann nicht schnell genug durch Ausfedern folgen und die Kraftübertragung des Reifens zur Fahrbahn wird unterbrochen. Dies MUSS zu einem kurzen Blockieren des vormals an der Schlupfgrenze geregelten jeweiligen Rades führen und entsprechend dazu, dass das ABS "nachregelt", also das Ventil des entsprechenden Rades weiter schließt.

Man bemerkt das im Pedalgefühl der Bremse, das "Schnarren" verändert in diesem Moment deutlich seine Frequenz.

Im Normalfall, also bei heute marktüblichen ABS-Systemen, sind die Regelsysteme so schnell und perfekt, dass sobald das Rad wieder ausreichendend Kontakt zur Fahrbahn zurückerlangt hat (durch "Fallen" des Fahrzeugs und Ausfedern des Fahrwerks), die Bremsleistung sofort wieder erhöht wird, die jeweiligen Ventile im ABS wieder aufmachen.

Und genau HIER besteht der Unterschied zwischen Opel-Serien-ABS und der Lotus-Variante: Das Lotus-ABS macht es wie es die Physik erlaubt, schnell, präzise, gefühlt bestmöglich. Das Opel-ABS gerät in derartigen Situationen häufig für gefühlte Ewigkeiten aus dem Tritt und findet keinen Arbeitspunkt mehr, lässt die Ventile zu und unterbindet daher viel zu lange das Bremsen, man fliegt quasi ohne jede Kontrollmöglichkeit weiter auf das Hindernis oder die Kurve zu und wird zum Zuschauer degradiert, bis sich das ABS irgendwann mal "fängt".

Mit dem Lotus-ABS hat man ein Bremsverhalten, welches immer die Bremsleistung zulässt, die im jeweiligen Moment physikalisch möglich ist. Mit dem Opel-ABS hat man häufig sekundenweise vollkommen fehlerhaft fast bis gar keine Bremsleistung mehr.

Man kann die Situation übrigens entschärfen, indem man die Vorderachse "weicher" ausfedern lässt, also Reifen mit größerem Querschnitt und weich eingestellte Zugstufe der Dämpfer. Beseitigt wird das Problem dadurch jedoch nicht, es wird nur seltener!

B. Die Lösung!

Das auf 220PS getunte Sondermodell des Speedster Turbo, der nur in England verkaufte Vauxhall VXR220, brachte uns auf eine heiße Spur: dieser hat ab Werk ähnlich vielen Lotus Elise und Exige vorne 16- und hinten 17-Zoll-Felgen, verbunden mit einem deutlich geringeren Abrollumfang vorn gegenüber hinten. Dennoch funktioniert das ABS dort tadellos. Beim normalen VX220 sowie beim Opel Speedster mit Serien-ABS darf die Radumfangsdifferenz zwischen Vorder- und Hinterachse nicht mehr als 2.5% abweichen, was derartige Modifikationen offiziell verbietet, was letztlich auch die beliebte Umrüstkombi 205/40R17 zu 235/40R17 betrifft. Und tatsächlich haben gerade Speedsterfahrer mit außergewöhnlichen Radumfangsabweichungen besonders häufig das Problem mit den harten Bremspedal.

Es musste also am VXR220 irgendwas im ABS verbessert worden sein!

Recherchen in englischen Foren brachte es zu Tage: im VXR220 wurde ein moderneres ABS-Steuergerät verbaut, welches auch in der Lotus Elise 111R Verwendung findet, welche nun absolut einen guten Leumund hat, das ABS der Elise R wird immer wieder gelobt[1]. Dieses ABS hat wohl nicht nur einen schnelleren Rechner verbaut, sondern ist ein 4-Kanal-ABS[2] gegenüber angeblichem 2-Kanal bei Speedster (die Achsen werden hier komplett geregelt wie ein einzelnes Rad, gerade in Kurven sinnlos) und dazu noch eine dynamische Radumfangsanpassung. Es soll den Bremsweg nochmals erkennbar verkürzen, mit unterschiedlichen Radumfängen bis 4% oder gar 5% klarkommen und durch das einzelne Ausregeln der Hinterräder in bestimmten Situationen das Fahrverhalten stabilisieren.
Glücklicherweise ist sowohl der verwendete Hydraulikblock als auch der Kabelbaum identisch, so dass das Steuergerät direkt ausgetauscht werden kann, es ist ein so genanntes "Drop-In-Replacement". So machten wir ausgehend vom Speedsterforum eine Sammelbestellung bei einem englischen Autohaus, da so die Preise mit etwa 360 Euro doch recht niedrig gehalten werden konnten. Opel nimmt hier in Deutschland irgendwas jenseits der 500, Lotus sogar 700.

Inzwischen haben intensive Tests bestätigt, dass sich der Speedster im Bremsverhalten durch Verbau des Lotus-Elise-111R-ABS unglaublich verbessert. Man bemerkt tatsächlich kaum noch ABS-Eingriffe, das Auto liegt bei Vollbremsungen stabil wie nie, auch in Kurven und der Ice Mode tritt nicht mehr auf!

Hier sieht man beide Steuergeräte im Vergleich, unten das herkömmliche vom Opel Speedster, oben das von der Lotus Elise (im alten ist noch die rote Silikondichtung drin, die muss man sich hier wegdenken):

Zu beachten:

(1) Das ABS-Steuergerät frisch von der Fabrik muss per Fahrzeugdiagnose im Fahrzeug "angelernt" werden. Genauer ist direkt nach Kauf lediglich ein Fehlercode gesetzt, der gelöscht werden muss. Wenn man gleich dabei ist, kann man auch einen Diagnoselauf machen lassen, das dauert wenige Minuten.

(2) Das Lotus-ABS ist über Opel-Diagnosesysteme nicht ansprechbar, es "spricht eine andere Sprache". Somit muss man sich eine Lotus-Werkstatt suchen. Diese muss mit dem "Lotus Scan 3" (Diagnosegerät ähnlich dem Opel Tech 2, Hersteller HP) und dem blauen Kabel für die Lotus Elise ab Baujahr 2004 an die im Beifahrerfußraum befindliche OBD-Schnittstelle und dann das ABS-Steuergerät anwählen.

 

C. Der Umbau:

...ist eigentlich absolut simpel! Hier mal kurz, Schritt für Schritt beschrieben.

(X1) Fronthaube öffnen.

(X2) Auf der linken Fahrzeugseite befindet sich das ABS, erkennbar an schwarzem Steuergerät mit Aluminium-Hydraulikblock darunter, aus dem unten 6 Rohrleitungen herauskommen.

Das Steuergerät trägt die Beschriftung "Kelsey Hayes" auf der Oberseite.

(X3) Lösen des großen Steckverbinders am Steuergerät. Hierfür ist seitlich am Stecker ein Schieber greifbar, der Richtung Fahrersitz geschoben werden muss, wobei sich der Stecker langsam vom Steuergerät trennt.

(X4) Lösen der vier Torx-Schrauben, Schlüsselweite T20.

(X5) Nun das schwarze Steuergerät vorsichtig senkrecht nach oben ziehen und abnehmen. Dabei nicht verkanten.

(X6) Die Auflagefläche der Dichtung des Steuergeräts mit einem mit ein wenig Bremsenreiniger getränkten Tuch vorsichtig reinigen.

(X7) Die mit dem neuen Steuergerät mitgelieferte rote Silikondichtung vorsichtig über die 6.3mm-Flachstecker für die Hydraulikpumpe stülpen.

(X8) Jetzt das neue Steuergerät mit der Lotus-Teilenummer A120J6004S vorsichtig von oben auf den Hydraulikblock aufsetzen und herunterdrücken. Dabei nicht verkanten! Auf den letzten Millimetern merkt man das Aufstecken der 6.3mm-Flachstecker und der Silikondichtung, da geht es deutlich schwerer.

(X9) Nun noch die vier Schrauben einsetzen und über Kreuz handfest anziehen und den Stecker vom Kabelbaum wieder aufstecken, also ansetzen und unter leichtem Druck den Schieber wieder in den Stecker einschieben. Er rutscht dabei wieder in die Endposition.

FERTIG!

 

Nun bleibt nur noch eines:

(X10) Bei einem Lotus-Händler mit dem Diagnosegerät der Lotus Elise ("Lotus Scan 3" mit blauem Kabel für Lotus Elise ab 2004) das ABS aktivieren lassen. Denn nach Einschalten der Zündung bemerkt man bis dahin, dass das ABS (noch) nicht einsatzbereit ist, die ABS-Lampe leuchtet nämlich dauerhaft. Also ACHTUNG: BIS ZUM ANLERNEN FÄHRT MAN OHNE ANTIBLOCKIERSYSTEM !

Die Anleitung zum Download als PDF (588KB)

Version 1.2 / Stand 27.05.2010, 19:30

 

[1] <<'Matt and I were asked to set lap times and then comment on the ABS - we thought it wasn't working, but it had cut in seven or eight times during the lap.' - Lotus has worked wonders with the software and the ABS allows individual wheels to lock to maximise retardation. Even when it's active you barely know that the electronics are making up for your clumsiness.>>
http://www.evo.co.uk/carreviews/cargrouptests/44842/lotus_elise_111r_v_vx220_turbo.html

[2] <<The servo-assisted four-channel system individually monitors and distributes braking force to each wheel as required, enhancing braking performance and minimising stopping distance.
However, Lotus has specifically tuned the initiation point to allow a skilled driver to maximise the potential of the braking system through the utilisation of forward weight transfer. In the event of the driver demanding more braking performance than is possible, only then does the system intervene to optimise the force generated at the wheel.>>
http://www.hazelnet.org/brochures/111R/111r.pdf

 

Nachtrag 17.11.2009:

Das Anlernen des ABS erfolgt bei meinem Wagen am 27.11.2009 in Hamburg bei Limited Cars.

Nachtrag 27.11.2009:

Das Anlernen ist heute durchgeführt worden. Man benötigt das "Lotus Scan 3" Diagnosegerät, ziemlich ähnlich dem Opel Tech 2. Dazu dann das OBD-Kabel für Lotus Elise ab Baujahr 2004, damit das ABS auch erkannt wird. Die Inbetriebnahme der ECU dauert so etwa 5 Minuten, in denen man vor allem die arbeitende Hydraulikpumpe akustisch bemerkt. Der Motor muss für das Anlernen nicht laufen, es genügt die eingeschaltete Zündung.

Im ersten Bremstest überzeugt das Lotus-ABS durch eine extrem feine Regelung, es arbeitet erheblich schneller als das Opel-ABS. Zudem scheint es etwas später einzugreifen, was dem Wagen möglicherweise etwas mehr Dynamik verschafft. Intensivere Tests können erst in der Saison 2010 folgen, der Wagen geht ja zum 30.11. in die Saisonpause und wird dann intensiver umgebaut. Aber die Baustelle ABS ist jetzt final beseitigt.